Nischen finden oder zugewiesen bekommen
Wer sucht, der findet- wer will, der kann. Ist es wirklich
so einfach, in dieser Gesellschaft seinen Platz zu finden? Wenn es so wäre,
hätten wir wohl überall Vollbeschäftigung. Was hindert die Menschen heute daran, ihren Stand in der Gesellschaft
zu festigen und zu halten, oder überhaupt erst einzunehmen.
Meine Erfahrung nach der Wende:
Es spielte keine Rolle, was man ursprünglich gelernt hatte.
Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch folgte der Anderen. Als junger Mann
oder junge Frau mit dem „entsprechenden“ Aussehen wurde man erst mal eingeladen.
Man hatte noch die Wahl. Und man hat nicht weiter gedacht, als an das nächste
Wochenende. Die Gespräche waren fast überall recht professionell und wurden von
gestandenen Mitarbeitern der Unternehmen durchgeführt.
Die Wendezeit war allerdings auch für alle westlichen
Unternehmen das letzte Aufbäumen, vor dem langsamen versickern der Märkte. Man
wollte schnell sein, die 17 Millionen mussten überrannt werden, durften im
Angesicht der Angebote und klingelnder Vertreter, nicht zur Ruhe kommen. Wie
viele Ostdeutsche wurden wohl damals wissentlich übers Ohr gehauen, wie viel
Lehrgeld mussten sie bezahlen? Mancher hat bis heute nichts dazu gelernt.
Seit der Schule wusste ich, dass Alteisen, nicht nur ein
Wertstoff sein kann, sondern im Westen auch die Menschen so kategorisiert.
Diejenigen, welche eine bestimmte Altersgrenze überschreiten und danach vom „sogenannten“
Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt werden. Selbst ihre eigenen Nachfragen
führen zu keinem positiven Resultat. Als junger Mensch, kurz nach der Wende,
dachte man nicht mehr an diese ungeschriebenen Gesetze. Man befand sich im Rad
der Geschehnisse, wie ein Hamster und vergaß die Zeit, konzentrierte sich nur
auf das Hier und Jetzt.
Als ich die Altersgrenze erreichte und nach
einhundertsechzig Bewerbungen lediglich fünf sehr grenzwertige Gespräche ohne erfolgreichen
Abschluss nachweisen konnte, erinnerte ich mich wieder an die alten Regelwerke.
Ich bin ein recht guter Beobachter und Zuhörer. Dies macht nebenbei gesagt, das
Leben nicht einfacher. Aber es gab mir die Möglichkeit, die wenigen
Gesprächspartner schon vor Dienstantritt richtig einzuschätzen.
Menschen sind abhängig vom Wohlwollen anderer Menschen. Wie
in anderen Abschnitten beschrieben, sinkt das Interesse der Menschen aneinander,
die soziale menschliche Bildung befindet sich auf dem Rückzug, der Wortschatz
und damit das bildliche Vorstellungsvermögen sowie die Fähigkeit zur positiven
Kommunikation schwinden nicht nur bei Gesamtschülern sondern auch Abiturienten
und Studenten, halt in der gesamten Gesellschaft. Personalabteilungen bestehen
aus frisch ausgelernten, ausstudierten, halbfertigen Persönlichkeiten ohne
Lebenserfahrung und ohne Herzensbildung, von der fehlenden Berufserfahrung und
der falschen Anleitung, braucht man nicht zu sprechen.
Es gibt natürlich noch die Ausnahmen, diejenigen, auf die
der vorherige Satz nicht zutrifft. Aber in einem immer angespannteren, dem Druck
des Marktes und der nachdrängenden jungen Menschen ausgesetzten Umfeld, ist der
Spielraum für solche Menschen mehr als gering. Die Aufstiegschancen ebenso. Die
Masse beugt sich den Gegebenheiten.
Ich saß also jungen Personalverantwortlichen gegenüber, die nicht
einmal mehr Augenkontakt halten wollten oder konnten. Denen die Langeweile
ihres Postens und die Sinnlosigkeit des bevorstehenden Gespräches in jedem
Winkel ihres Gesichtes und allen Gesten ihrer Körperhaltung abzulesen war. Oder
Menschen, mit einem unverhohlenen, unterschwelligen und aggressiven Auftreten,
deren Machtposition im Angesicht der Bewerber voll zum Vorschein kam. Das Eine,
wie das Andere, sehr unangenehme Herangehensweisen, an ein Bewerbercasting.
In den vergangenen Jahren erlebte ich selbst viele Bewerber,
ihre Unterlagen bestanden aus einem angefressenen A5 Blatt, sie konnten keine
zwei Sätze zusammenhängend vortragen und waren mal eingeschüchtert oder eben
völlig von sich eingenommen, halt selbstbewusst durch Nichtwissen. Doch taten
sie mir eher leid, junge Menschen, denen die Schule und somit der Staat nichts
mitgegeben hatte. Es machte mich auch wütend, zu wissen, dass diese Menschen in
ihrem Leben nichts erreichen werden. Sind sie selber schuld? Sind sie so
geboren worden? Nein und nochmal, nein! Die Gesellschaft macht sie zu dem, was
sie sind. Dazu gehört der Staat als Spitze, die Familie als Hort und alle
anderen Berührungspunkte innerhalb der Gesellschaft.
Was hindert Menschen heute also daran, ihre Nischen zu
finden? Ist es das Postleitzahlen- Scanning, welches Wohnorte als Gettos identifiziert und dessen Bewohner aus der
Bewerberliste streicht, ist es das Aussehen der Bewerber, da die
Personalverantwortlichen nach ihrem persönlichen Geschmack auswählen, ist es
wieder die Farbe der Augen, braune Augen- du Ausländer, blaue und graue Augen-
du Deutscher?
Die letzte Bemerkung klingt hart, ist allerding nach den NSU
Vorfällen und den Verwicklungen des Staates in Unwissen und Unfähigkeit eine
zumindest in Betracht zu ziehende Alternative.
Oder sind es die vielen Fallstricke in den
Abschlusszeugnissen der Personalabteilungen, mit denen verdeckte Mitteilungen
an die nächste Personalabteilung gesendet werden. Dass diese Mitteilungen am
Ende einer Beschäftigung nicht immer objektiv sein können, braucht wohl nicht
erklärt werden. Streit mit dem Vorgesetzten, marktbedingte Veränderungen, gesundheitliche
Probleme, die Gründe für subjektive Einschätzungen sind so vielfältig, wie auch
menschlich.
Wer heute nicht bereit ist, sich unter Wert zu verkaufen
bleibt draußen.
Dieser Satz dürfte kaum zu widerlegen sein. Nach dem zweiten
Weltkrieg und dem damit verbundenen Verlust so vieler junger Menschen,
funktionierte der Arbeitsmarkt noch. Es bestand eine Nachfrage von Seiten der
Arbeitgeber und umfangreiche Bildung war erforderlich. Nun ist seit Jahren das
Angebot an Arbeitskräften weit höher als die Nachfrage. Der Markt ist so gut
wie am Ende. Der Staat als Handlanger der Unternehmer, das Arbeitsamt als
Dampfpresse immer im Einsatz gegen die Arbeitnehmer. Arbeitnehmer müssen alles
hinnehmen, Lohndumping, schlechte Arbeitsschutzbedingungen, unakzeptable
Vertragskonstellationen. So ist es nun mal, wenn ein Markt kippt.
Die zugewiesenen Nischen des Arbeitsamtes, unkontrolliert,
unkommentiert, sind das letzte Aufgebot im Kampf des Systems gegen
Arbeitslosigkeit und soziale Verrohung. Dabei unterstützen die staatlichen
Einrichtungen noch den Niedergang, durch die Akzeptanz unmöglicher
Arbeitsangebote und Aussprache von Zwangsstrafen bei Weigerung der
Arbeitnehmer, diese anzunehmen.
Die Gründe, warum so viele Menschen keine Nischen mehr finden
sind also vielfältig und von der Gesellschaft selbst entworfen. Etwas weniger
Bürokratismus, etwas mehr Flexibilität in den Stellenbeschreibungen und der
Wille, sich Menschen in der Praxis anzuschauen, könnte die Situation eventuell
entspannen. Ansonsten warten wohl alle Beteiligte wieder auf die Dezimierung
der Bevölkerung.
Es können nicht alle Menschen selbstständig sein. Zum einen
fehlt der Wille, zum anderen die geistigen Voraussetzungen, meistens das Geld.
Man erntet, was man sät. Wer will das erleben.